Dort: ein Gefühl

Gregg Bordowitz

21. September 2024 – 2. Februar 2025

Eröffnung: Freitag, 20. September, 19 Uhr

Dort: ein Gefühl

Eröffnung am Freitag, den 20. September, 19–22 Uhr
mit der Lecture-Performance Open Book: Letters, Marks, Politics von Gregg Bordowitz, 19 Uhr

21. September 2024 – 2. Februar 2025

Jeder Tag bringt neue Angriffe auf unsere Sinne. Was empfinden wir, wenn wir Zeuge von Grausamkeiten werden, die uns zu den atomisierten Elementen eines Ganzen machen, das sich in einem dauerhaften Zustand des Zusammenbruchs befindet? Was empfinden wir, wenn wir uns als partikuläre Elemente eines Ganzen erkennen, das sich ständig erschöpft; eines Ganzen, das als unvollkommene haltende Umwelt alle einbegreift und dennoch unsere Existenz zusammenhält… bis es schließlich versagt?

So lauten die ersten Zeilen von Gregg Bordowitz’ Notizen über Wissen und Unwissen, einem Auszug aus seiner täglichen Schreibpraxis. Formal erscheinen diese Notizen wie ein wütender, skurriler, ernsthafter Essay – sie handeln von Fürsorge, Verpflichtung sowie den Bemühungen, weiterzuschreiben.

Im Mittelpunkt von Dort: ein Gefühl, der ersten großen Ausstellung von Gregg Bordowitz’ Arbeit in Europa, steht die beharrliche Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Schreiben als gedankliche Tätigkeit. In zwei Kapiteln, die im Bonner Kunstverein sowie im Camden Art Centre in London gezeigt werden, nähert sich Bordowitz dem Schreiben mittels verschiedener Ausdrucksweisen und Formate an, darunter Video, Installation, Performance, Poesie und Zeichnung. Worte sind Gesten, sind Bilder, sind Buchstaben, sind Zeugnisse in einem transdisziplinären Projekt, das von Bordowitz’ Erfahrungen als langjähriger HIV-Überlebender geprägt ist.

Für seine Erkundung der Verbindungen zwischen Schreiben und Überleben setzt Bordowitz’ Textbearbeitung, Collage und Komposition als angewandte Formen des Denkens ein: Schreiben wird bis zu dem Punkt erweitert, dass es zur Zeichnung wird, der Realismus wird so lange vorangetrieben, bis er Abstraktion erfordert. Insofern ist Dort: ein Gefühl als Gesamtwerk konzipiert, das jedoch aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt ist und sich bewusst zwischen unterschiedlichen Registern bewegt, von Installationen und Videos über Gedichte bis hin zu skulpturalen Arbeiten. Während einige dieser Elemente aus Bordowitz’ Schaffen als Künstler, Schriftsteller, Filmemacher und Aktivist von den frühen 1990er Jahren bis heute zusammengestellt wurden, sind andere in Reaktion auf diesen spezifischen Kontext neu entstanden.

Diese Haltung überträgt sich auch auf den Raum von Bordowitz’ eigener Stimme und seinem Handeln als Autor. Ein Großteil seiner Arbeiten entstand im Austausch mit Mitarbeiter*innen, Freund*innen und verschiedenen Communities. Einige der wichtigsten Gesprächspartner*innen und an den Kunstwerken Beteiligte leben nicht mehr – wie im Fall der Videoporträts von People Living with HIV (1993). Andere waren immer schon abwesend, waren stets bereits das, was der Dichter Stephen Spender einmal als ‚Vorfahren im Geiste‘ bezeichnet hat – Quellen des Einflusses, der Verbundenheit und der Bewunderung über die Zeit hinweg, die als Helfer oder sogar ‚Heiler‘ zur Seite stehen. Wichtige Bezugspunkte für Dort: ein Gefühl sind der Dichter Paul Celan, die Philosophin und politische Aktivistin Simone Weil, der Schriftsteller und Dichter Edmond Jabès und der Künstler Ben Shahn, deren Praktiken sich in den Räumen des Schreibens und der Komplexität des Überlebens bewegten, während die Intensität ihrer Arbeit oftmals stark von den Auswirkungen historischer Katastrophen auf ihr Leben geprägt war.

In seinem Gedicht There: a feeling beschreibt Bordowitz die Begegnung mit diesen Abwesenheiten als Schlüsselmoment der Erkenntnis in der Auseinandersetzung mit Lebendigkeit und dem, was sie nicht ist:

du betrittst einen Raum
und du weißt
er ist weg
was ist das, er ist weg?
ist Abwesenheit der Beweis?

Das tägliche Schreiben könnte eine Möglichkeit sein, den Beweis der Anwesenheit zu prüfen. Durch seine Wiederholung als Gewohnheit verschiebt sich das Schreiben zudem ins Alltägliche und eröffnet die Möglichkeit, dass auch die tägliche Praxis etwas Episches darstellen und enthalten könnte – die Möglichkeit, beides zu sein. Dieser Geist vollzieht sich über die Maßstäbe hinweg und ist mit einem gewissen Glauben oder sogar der Freude an der Herstellung und dem Erleben von Kunst verbunden. An einer dauerhaften Auseinandersetzung und dem aktiven Schaffen der Bedingungen, durch die solche Handlungen möglich, notwendig und sogar lustvoll werden.

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Gregg Bordowitz ist Filmemacher, Schriftsteller und Aktivist, dessen Arbeit unter anderem im Whitney Museum of American Art, im New Museum, im Artists Space, im MoMA, im Museum of Contemporary Art Chicago und in der Tate Modern ausgestellt wurde. Die Ausstellung Gregg Bordowitz: I Wanna Be Well, die einen ersten umfassenden Einblick in seine Praxis bot, wurde 2018 von der Douglas F. Cooley Memorial Art Gallery am Reed College organisiert und anschließend im MoMA PS1 und dem Art Institute of Chicago gezeigt.

In den 1980er Jahren richtete er seine kreative Praxis darauf, der AIDS-Krise zu begegnen. Als Mitglied der wegbereitenden Aktivist*innengruppe ACT UP organisierte und dokumentierte er eine Reihe von Protesten gegen die Untätigkeit der Regierung, setzte sich für gesundheitliche Aufklärung und Überlebenshilfe ein. In den 1980er Jahren war er außerdem Gründungsmitglied der Videokollektive Testing the Limits und Diva TV.

Bordowitz ist der Autor von The AIDS Crisis Is Ridiculous and Other Writings, 1986–2003 (2004), General Idea: Imagevirus (2010), Volition (2010) und Glenn Ligon: Untitled (I Am a Man) (2018).

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Die Veranstaltungen, Publikationen und Ausstellungen werden von Gregg Bordowitz und Fatima Hellberg kuratiert und herausgegeben.

Ein zweites Kapitel der Ausstellung findet vom 17. Januar – 30. März 2025 im Camden Art Centre, London, statt.

Gregg Bordowitz, Some Styles of Masculinity, Performance, New Museum, New York, 2018. Foto: Chloe Foussianes

Gregg Bordowitz, Some Styles of Masculinity, Performance, New Museum, New York, 2018. Foto: Chloe Foussianes