Tolia Astakhishvili:
The First Finger
25. März – 30. Juli 2023
Eröffnung: Freitag, 24. März, ab 19 Uhr
In Tolia Astakhishvilis The First Finger werden die Räumlichkeiten des Kunstvereins grundlegend transformiert. Die Ausstellung, die architektonische Interventionen, Installationen, Malerei, Zeichnungen und Videos umfasst, präsentiert eine Vielzahl von neu konzipierten Arbeiten sowie Kollaborationen mit Zurab Astakhishvili und James Richards und Beiträge von Ketuta Alexi-Meskhishvili, Kirsty Bell, Vera Palme und Ser Serpas.
Tolia Astakhishvili befasst sich in ihrer materiell geprägten Praxis immer wieder mit der belebten Umgebung: mit der Zusammenstellung und Logik, die sie im Laufe der Zeit annimmt, und damit, wie sie ihre Bewohner*innen prägt und ihrerseits von ihnen geformt wird. In Astakhishvilis Auseinandersetzung kommt es stetig zu Schwankungen zwischen dem Bedürfnis, schützende und beständige Räume zu schaffen, aber auch zu Regressionen, die einem destabilisierenden und destruktiven Impuls entspringen. In gewisser Weise ist dies eine Reflexion über das Überleben, über das im Überleben Begriffene, und die Art und Weise, wie sich Leben und Lebendigkeit auf ihre materielle Umgebung abfärben. Für Astakhishvili bedeutet das, sich mit ausrangierten Gegenständen zu befassen, die im Laufe der Zeit benutzt wurden, und sie jenseits der ihnen ursprünglich zugewiesenen Funktionen neu zu begreifen und einzusetzen.
Der Titel der Ausstellung, The First Finger, verweist auf die Auseinandersetzung mit der Idee des Körpers als Behälter, dessen Äußeres und Inneres beständigen Schwankungen unterliegt. Ein Körper, der kritisch niedrigen Temperaturen ausgesetzt ist, opfert seine äußeren Gliedmaßen, um die Durchblutung im Inneren aufrechtzuerhalten. Dieses ambivalente, mitunter gewaltvolle Bild, zeugt von Fürsorglichkeit und der Mühe, Dinge am Leben zu erhalten, mögen sie noch so beeinträchtigt und qualvoll sein. Dieses Spannungsverhältnis durchdringt Tolia Astakhishvilis Werk auf eine Weise, die im Kleinen ihren Anfang nimmt und immer größere Kreise zieht – verwurzelt, spezifisch und sich schließlich expandierend. Beim Durchlaufen von The First Finger entstehen träumerische, unscharfe Momente, die von Begegnungen mit der „Welt da draußen“ punktuell durchbrochen werden. Durch das Wechselspiel dieser Ebenen beschwört Tolia Astakhishvili ein Gefühl der Instabilität, das vom menschlichen Körper ausgeht und schließlich eine breitere soziale und politische Dimension annimmt. Diese Porosität spiegelt sich auch in dem Ansatz wider, The First Finger in zwei Kapiteln zu präsentieren, im Bonner Kunstverein und im Haus am Waldsee. In einem Prozess von Schichtung und Verdichtung behandelt Astakhishvili Raum und Zeit als durchlässige Gebilde, die Wurmlöcher und Resonanzen zwischen den beiden Schauplätzen offenlegen – ein Prozess, der in neuen Textbeiträgen von Kirsty Bell nachgezeichnet und erweitert wird.
Tolia Astakhishvilis Logiken des Hinein- und Herauszoomens, des Hin- und Hergleitens zwischen Realismus und Abstraktion, entfalten Sichtweisen, die umfangreiche Raumkonstruktionen ebenso wie intimere Formen einbeziehen. Wiederkehrende Elemente in The First Finger sind die Miniatur und das Modell. Das Modellhaus dient stellvertretend für das Reale, als Plan oder Projektion, als Schnittpunkt von Wirklichkeit und Spiel. Durch die Art und Weise, wie Astakhishvili die Aufmerksamkeit auf die Eigenarten und Eigenwilligkeiten eines Materials lenkt, öffnet sie die Möglichkeit eines Raums der gegenseitigen Annäherung von Absicht und Materie. Dieses Prinzip setzt sich auch in den gemeinsam entwickelten Arbeiten in The First Finger fort. In den Arbeiten, die in Kollaboration mit James Richards entstanden sind, werden collagierte und zerbrochene Standbilder zu animierten, umherstreifenden Videos, die die Erfahrung von Innen und Außen verwischen. Die malerisch anmutenden Szenen überlagern und verschleiern das, was wir gewöhnlich für das Reale und das Imaginäre halten. Der Raum wird erfahrbar gemacht, als eine Art metaphorischer Körper samt Kreisläufen, Öffnungen und Gliedern, die eine pragmatische Materialität aufweisen – Gipskartonplatten, Spachtelmasse, Entlüftungsöffnungen und sonstige ausfransende Infrastrukturen.
Überleben stellt sich im Kontext von Tolia Astakhishvilis Praxis als eine ambivalente Auseinandersetzung mit der Schwierigkeit heraus, die Welt in einem Spannungsfeld zwischen Behauptung und Zweifel zu bewohnen. Ein Nachdenken über Schutz jenseits der Fürsorge um sich selbst und des Erhalts seiner materiellen Umwelt birgt ein Risiko, dessen sich Astakhishvili wohl bewusst ist, das sie nicht ganz außer Acht lassen kann.
Das begleitende Veranstaltungsprogramm zur Ausstellung umfasst unter anderem eine Performance von Michael Kleine und Roman Lemberg am 20. Mai sowie einen Abend mit Musik, Film und Poesie, der in Zusammenarbeit mit James Richards am 7. Juli stattfindet.
The First Finger wird in zwei Kapiteln realisiert: Das erste Kapitel, kuratiert von Fatima Hellberg, findet im Bonner Kunstverein statt (25. März – 30. Juli 2023) und das zweite Kapitel im Haus am Waldsee in Berlin, kuratiert von Beatrice Hilke (23. Juni – 24. September 2023).
Die Ausstellung wird großzügig unterstützt von der Kunststiftung NRW, der Stiftung Kunstfonds und der Stiftung Kunst, Kultur und Soziales der Sparda-Bank West.
Rezensionen von The First Finger:
- Atkins, Ed. Contemporary Art Writing Daily.
- Faoro, Stefano. Mousse Magazine.
- Levinson, Eliza. Arts of the Working Class.
- McCormack, Chris. Art Monthly. (PDF, 233,1 KB)
- Pohlen, Annelie. Kunstforum International.
- Schlücker, Robert. taz.
- Vistrup Madsen, Kristian. Artforum.
- von Schönebeck, Gudrun. Generalanzeiger.
- Zamboni, Isabella. Spike Art Magazine.
Alle Werke Courtesy der Künstler*innen und: Tolia Astakhishvili: LC Queisser, Tiflis. James Richards: Cabinet, London; Isabella Bortolozzi, Berlin; Rodeo, London, und Piraeus. Fotografie: Mareike Tocha.